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Litauen-Dossier

Belarus und Litauen. Ringen um ein gemeinsames Erbe und eine gemeinsame Zukunft

Geschichte
Datum:
Lesedauer:
12 MIN

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Litauen und Belarus verbindet eine jahrhundertelange und spannungsreiche Geschichte. Diese reicht zurück bis in das 13. Jahrhundert. Bis heute führt das komplexe Verhältnis zu einem Handeln, das auf litauischer Seite zwischen pragmatischer Kooperation und substanzieller Unterstützung der belarussischen Opposition changiert.

Eine Gruppe Menschen steht mit Gepäck im Dunkeln auf einem Parkplatz

Wieder in Freiheit: Am 11. September 2025 ließ das Regime in Belarus 52 Gefangene frei, die daraufhin allerdings das Land verlassen mussten. Zehntausende bleiben weiterhin inhaftiert.

IMAGO/Anadolu Agency

Dutzende Menschen haben sich vor der USUnited States-Botschaft in Vilnius versammelt. Weiß-rot-weiße Fahnen wehen, die Farben der belarussischen Unabhängigkeitsbewegung und Symbol der Massenproteste von 2020, dessen Verwendung in Belarus strafrechtlich verfolgt wird. Man begrüßt sich mit Handschlag und Umarmung. Es wirkt wie ein Familientreffen, viele kennen sich schon aus ihrer Zeit in Belarus. „Free Ales Bialiatski!“ liest mal auf dem Shirt eines Mannes, dazu das Konterfei des belarussischen Friedensnobelpreisträgers, der 2021 wie Zehntausende im Zuge der Massenproteste in Belarus und der darauffolgenden Repressionen festgenommen und 2023 zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde. Die Belarussen, die sich versammelt haben, warten auf ihre Liebsten, Freunde und Bekannten, anderen wollen lediglich ihre Solidarität demonstrieren. 52 Gefangene hat das Regime von Alexander Lukaschenko am 11. September 2025 nach dem Besuch des Trump-Gesandten John Coale in Minsk freigelassen, darunter rund 40 politische Gefangene. Bjaljazki ist nicht darunter. Dabei hatten die Freigelassenen keine Wahl, in ihrer Heimat zu bleiben, sie werden zwangsdeportiert. Man nimmt ihnen die Pässe und anderen Habseligkeiten ab. Der Philosoph Uladsimir Matskewitsch wird später berichten, dass man ihn gezwungen habe, alle seine Aufzeichnungen und Manuskripte im Gefängnis zurückzulassen. Als der Konvoi mit den Kleinbussen in die Straße zur Botschaft in Vilnius einbiegt, brandet Jubel auf, es fließen Tränen. „Schywje Belarus!“ ruft die Menge, Es lebe Belarus! Es ist der Kampfruf der Opposition, die mit brutalen Repressionen aus ihrer Heimat vertrieben wurde.

Litauische Solidarität mit Belarus

Die Litauer waren die ersten, die sich 2020 unmissverständlich auf die Seite der Proteste schlugen, mit einer Solidaritätserklärung im Seimas, im litauischen Parlament. Man hatte den Eindruck, dass nicht nur die Belarussen auf den historischen Moment gewartet hatten, das Regime von Alexander Lukaschenko zu stürzen, der als sowjetischer Wiedergänger ab 1994 einen autoritären Machtapparat errichtet hatte, sondern auch die Litauer. Das Land mit heute 2,8 Millionen Einwohnern hatte sich mit dem Ende der Sowjetunion einer freiheitlich-westlichen Entwicklung verschrieben, hatte mit Belarus als Nachbarn aber immer die eigene Vergangenheit vor Augen und somit die Gefahr, die von den Geistern des Revanchismus ausgeht. Litauen befindet sich heute direkt an der Konfliktlinie zu einem Belarus, das durch die fatale Abhängigkeit Lukaschenkos vom Kreml ein hohes Sicherheitsrisiko darstellt. Deswegen betont die litauische Führung, fest an der Seite der Ukraine und auch der belarussischen Opposition zu stehen. Sie wird als Chance angesehen, das Versprechen auf ein demokratisches Belarus am Leben zu halten, um so auch die eigene Sicherheit zu festigen. An diesem 11. September 2025 sitzen Swjatlana Tsichanouskaja, Anführerin der heutigen Demokratiebewegung im Exil, und Kęstutis Budrys, Außenminister Litauens, bei einer Konferenz in der Universität von Vilnius zusammen auf dem Podium und bestärken ihre gegenseitige Partnerschaft. „Es ist keine Frage, dass wir die belarussische Demokratiebewegung auch weiter unterstützen werden“, sagt Budrys. „Es ist eine Versicherung für unsere eigene Zukunft.“

Portraitfoto der Oppositionspolitikerin Swjatlana Tsichanouskaja an einem Tisch hinter Mikrofonen

Anführerin der belarussischen Opposition im Exil: Swjatlana Tsichanouskaja hier zu Besuch im Deutschen Bundestag im April 2023.

Von CEK2004, CC BY 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=175023665

Tsichanouskaja war kurz nach der Wahl am 9. August 2020 vom belarussischen KGB außer Landes getrieben worden, in der litauischen Stadt fand sie eine neue Wahlheimat, ihr Büro erhielt von der Regierung Litauens prompt den diplomatischen Status. „Die Völker, die ihre Freiheit verloren haben, schätzen sie am meisten“, sagte der litauische Präsident Gitanas Nausėda 2020 und brachte damit die historische Erfahrung der Litauer ins Spiel. „Deshalb hat Litauen nicht gezögert, dem belarussischen Volk, das sich von den Fesseln der Gefangenschaft befreien will, seine volle Unterstützung zuzusichern.“ Belarussen, die im Zuge der Repressionen in ihrem Land ins Nachbarland flohen, wurden von den Litauern schnell und unbürokratisch mit humanitären Visa ausgestattet. Litauen ist nicht unbedingt die erste Wahl für die Exilanten, sondern Polen, wo die Integration aufgrund der Ähnlichkeit des Belarussischen und Polnischen durchaus leichter fällt, viele Belarussen sprechen ohnehin Polnisch. Das Litauische dagegen muss als baltische Sprache mühsam erlernt werden. Aber häufig bleibt keine Wahl, zudem finden gerade junge, gut ausgebildete Belarussen einen schnellen Zugang zum international ausgerichteten litauischen Arbeitsmarkt. 

Bis 2020 lebten nur 18 000 belarussische Staatsbürger in Litauen, 2025 sind es knapp 50 000. Belarussische ITInformationstechnik-Firmen haben ihren Sitz nach Vilnius verlagert, unabhängige Medien haben hier ihre Büros sowie belarussische Think Tanks oder Menschenrechtsorganisationen, die in Belarus als „extremistische Organisationen“ kriminalisiert werden. Die Präsenz der Belarussen, auch die Nähe zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, ist im Stadt- und Straßenbild allgegenwärtig. Man hört Belarussisch, Ukrainisch, Russisch, sieht blau-gelbe und weiß-rot-weiße Fahnen in Wohnungsfenstern.

Exil in Litauen

Einerseits pflegten die litauischen Regierungen vor 2020 ein durchaus pragmatisches Verhältnis zum Lukaschenko-Regime. Die litauische Wirtschaft verdiente lange am Transport von Kali, das aus Belarus via Eisenbahn zum Hafen in Klaipeda gebracht wurde. Erst seit 2021, als die EU mit Sanktionen gegen den staatlichen belarussischen Kali-Produzenten vorgingen, ist der Transport über Litauen nicht mehr möglich. Andererseits unterstützte Litauen die belarussische Opposition und Zivilgesellschaft auch schon vor der Zäsur im Jahr 2020. Als Lukaschenko die Europäische Humanistische Universität (EHU) in Minsk 2004 auflöste, fand sie in der litauischen Hauptstadt Asyl. Der belarussische Philosoph Anatoli Michailow hatte 1992 die EHU im freiheitlichen Geist der Wende als Privatuniversität gegründet, an der heute rund 1800 Studierende lernen, die zum Großteil aus Belarus kommen. Dort lehrten und lehren Wissenschaftler, die in Belarus selbst nicht mehr unterrichten dürfen, weil sie aus politischen Gründen gekündigt wurden. Viele Absolventen der EHU arbeiten heute in bekannten zivilgesellschaftlichen Strukturen, kulturellen Projekten, in Medien oder in der Politik. Die Webseite der EHU und ihre Auftritte in den Sozialen Medien hat das Lukaschenko-Regime bereits als „extremistisch“ gebrandmarkt. Es ist zu befürchten, dass diese Einstufung bei der EHU auch als Organisation vorgenommen wird, um junge Leute in Belarus davon abzuhalten, dort ein Studium zu beginnen. 

Ein weiterer wichtiger Ort der Belarussen in Vilnius ist das Barys Zvozskau Belarusian Human Rights House, das 2006 als NGONichtregierungsorganisation in Litauen gegründet wurde, weil das Regime in Belarus die Registrierung verweigerte. Als es im Zuge der Niederschlagung der Proteste bei der Präsidentschaftswahl Ende 2010 zu einer massiven Repressionswelle kam, fanden viele Oppositionelle und Aktivisten Zuflucht im Nachbarland, so auch der Musiker Lavon Volski mit seiner Musik. Seine Bands waren in Belarus von den Machthabern de facto verboten worden. 2011 war er der Erste, der sogenannte Exilkonzerte in Vilnius organisierte – mit Hilfe der litauischen Behörden, die jungen Belarussen kostenfreie Visa ausstellten, damit sie zu den Konzerten reisen und ein paar Tage außerhalb des autoritären Regimes verbringen konnten. Beim ersten Konzert in der ausverkauften Art Factory Loftas war die Euphorie der tanzenden und jubelnden Menge förmlich mit Händen greifbar. 

farbige Karte Polen-Litauen

Litauen früher und heute: Das heutige Litauen und das heutige Belarus waren einst beide Teil der Rzeczpospolita (Polen-Litauen).

Bundeswehr/Heinicke

Tatsächlich teilen Litauer und Belarussen eine jahrhundertelange gemeinsame Geschichte, vor allem seit dem 13. Jahrhundert im Großfürstentum Litauen und ab Mitte des 16. Jahrhundert in der polnisch-litauischen Adelsrepublik. Diese historische Gemeinsamkeit lässt sich auch in den Symbolen der beiden Staaten ausmachen. In beiden Ländern spielen sich stark ähnelnde Wappen – ein Reiter auf einem Pferd – eine große Rolle. In Belarus wurde das sogenannte Pahonja mit dem Ende der Sowjetunion und der Unabhängigkeitserklärung der Republik Belarus zum Staatssymbol erhoben. Es war das erste Mal in der Geschichte, dass Belarus eine vollumfängliche Eigenstaatlichkeit erlangte. Lukaschenko ließ das Wappen 1995 durch ein dem der Belarussischen Sozialistischen Sowjetrepublik (BSSR) ähnliches Wappen ersetzen, zudem tauschte er auch die Staatsfahne aus. Die damalige weiß-rot-weiße Staatsflagge wurde durch die rot-grünen Farben der BSSR ersetzt, womit Lukaschenko die sowjetisch-russische Tradition betonen und eine belarussische Geschichte als Teil des Großfürstentum Litauens, die vielen Belarussen als Beweis für die westlich-europäische Anbindung ihres Landes gilt, ausmerzen wollte. Schließlich soll das Weiß-Rot-Weiße auch die Farben von belarussischen Einheiten zu Zeiten des Großfürstentums Litauen und Polen-Litauens gewesen sein. Der in Litauen als Vytis bekannte Reiter war dort bereits das Symbol in den Aufständen gegen das Zarenreich. Der Kampf um Symbole und Narrative ist, wie man sieht, immanenter Teil der belarussischen Geschichte.

Dabei war auch die heutige litauische Hauptstadt immer ein Fixstern im Universum der Belarussen, die Teil des historischen multikulturellen Schmelztiegels der Stadt waren. Viele berühmte Belarussen haben hier gelebt, studiert und gewirkt. 1906 wurde in Vilnius Nascha Niwa (Unser Acker) gegründet, die bis heute älteste belarussischsprachige Zeitung. Mittlerweile hat die Redaktion des gleichnamigen Online-Portals ihren Sitz auch wieder in Vilnius, weil sie aus ihrer Heimat vertrieben wurde. 

An vielen Häusern in der Hauptstadt hängen Tafeln, die an das Wirken von belarussischen Autoren und Intellektuellen erinnern. Dem Café mit Namen „Roter Strahl“ (Belaruss. Tschyrwony schtral), wo sich die Gebrüder Anton und Iwan Luzkewitsch, bedeutende Vordenker der belarussischen Nationalbewegung, und andere Intellektuelle Anfang des 20. Jahrhunderts trafen, hat der bereits erwähnte Volski mit seiner Ska-Rock-Band Krambambulya vor ein paar Jahren ein musikalisches Denkmal gesetzt. 

Denkmal für den belarussischen Widerständle, seitliche Darstellung in Stein gemeißelt.

Früher belarussischer Widerstand: Denkmal für den Revolutionär Kastus Kalinouski, der 1863/64 einen Aufstand gegen das russische Zarenreich anführte.

Von SUJIRENas, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=17808534

Eines der großen Ereignisse, an dem der gemeinsamen Geschichte gemeinsam gedacht wurde, fand 2019 statt, als die litauische Regierung die Überreste von Kastus Kalinouski, dem Anführer des Aufstands von 1863/64 gegen das Zarenreich, in einem Staatsakt beerdigen ließ. Man hatte die Gebeine 2017 zufällig bei Ausgrabungen am Gediminas-Hügel gefunden. Mit den Teilungen der polnisch-litauischen Adelsrepublik Ende des 18. Jahrhunderts hatte sich das Russische Kaiserreich die litauischen und belarussischen Gebiete vollständig einverleibt. Einer der Anführer des damaligen Aufstands war Kalinouski, der vielen Belarussen als Nationalheld und Streiter für die belarussische Unabhängigkeit gilt. Nach ihm ist seit 2022 die größte Einheit freiwilliger belarussischer Kämpfer in der Ukrainischen Armee benannt. Er war am 10. März 1864 von der russischen Führung hingerichtet worden. Der feierlichen Prozession durch die Straßen der Altstadt, die von Hunderten weiß-rot-weißen Flaggen begleitet wurde und von tausenden Menschen, wohnten auch der litauische Präsident Nausėda und der polnische Präsident Andrzej Duda bei. Vertreter der belarussischen Opposition waren gekommen, sogar – was heute nicht mehr denkbar ist – der belarussische Vizepremier Ihar Petrischenka, um ein Zeichen für die Unabhängigkeit ihrer Staaten zu setzen. Das Lukaschenko-Regime versucht den Revolutionär mittlerweile aus den Köpfen der belarussischen Bevölkerung zu verbannen. Als Kämpfer gegen den russischen Imperialismus passt er nicht zur unerschütterlichen belarussisch-russischen Einheit, die Lukaschenko seit 2020 noch stärker beschwört als zuvor.

Das Phänomen des „Litwinismus“

So viel komplexe historische Gemeinsamkeit und ineinander verwobene Geschichte birgt allerdings auch Konfliktpotenzial. So werden gerade von radikalen Kräften Ängste geschürt, dass litauische Gebiete von Belarussen als „historisch belarussisch“ identifiziert werden könnten. Vor allem um das Phänomen des „Litwinismus“ haben sich deshalb in den vergangenen Jahren durchaus scharfe Dispute entzündet. Dabei handelt es sich um eine pseudohistorische Idee, deren Anfänge sich ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen lassen, als Vertreter des polnisch-litauischen Adels aus den belarussischen Gebieten der einstigen Adelsrepublik sich als Litwinen bezeichneten. So betonten sie ihre Verbindung zu diesem aufgelösten Staatswesen (Litwa) und die Abgrenzung zur russischen Identität, von einer belarussischen Identität war damals noch keine Rede. Die orthodoxe Landbevölkerung, die slawisch-belarussische Dialekte sprach, bezeichnete sich selbst vor allem als Tuteischija, als die Hiesigen. Der belarussische Politologe Andrei Kasakewitsch erklärte die Entstehung dieses Phänomens in einem Interview mit Nascha Niwa im Jahr 2023 so: „Du scheinst weder Litauer noch Pole zu sein. Einige schlossen sich der litauischen Nationalbewegung an, andere der polnischen oder belarussischen. Aber in jedem Fall war das Verlangen nach etwas Eigenem offensichtlich. Diejenigen, die ihre Identität ernst nahmen, mussten sich irgendwie von den Litauern distanzieren und dafür einen neuen Wortschatz erfinden.“

Eine Menschenkette steht mit Fahnen und Blumen hinter einer Stoffbahn in den litauischen Farben.

Geste der Solidarität: Im August 2020 bildeten Litauerinnen und Litauer sowie belarussische Exilanten aus Protest gegen das belarussische Wahlergebnis eine 32 Kilometer lange Menschenkette, die von Vilnius bis zur belarussischen Grenze reichte.

IMAGO/EST&OST

Größere Popularität erfuhr der Litwinismus schließlich in den 1980er-Jahren mit den populärwissenschaftlichen Schriften des Belarussen Mikola Jermalowitsch (1921–2000), der das Großfürstentum als „belarussischen“ Staat und Vilnius als eine „belarussische“ Gründung beschrieb und die Rolle der Balten und Litauer in diesen Prozessen unter den Tisch kehrte. Der Historiker Aliaksei Lastouski betont, dass diese Sichtweise in der seriösen Forschung nie Anklang gefunden hat, dort wird das Großfürstentum als litauisch-belarussischer Staat gesehen. Auch in der belarussischen Gesellschaft sei der Litwinismus ein Randphänomen. Dennoch birgt der Litwinismus gerade in der aktuellen Situation, wo extreme Kräfte versuchen, die belarussischen Neuankömmlinge in Litauen zu diskreditieren und damit Unfrieden zu stiften, durchaus Konfliktpotenzial. Laurynas Kasčiūnas, Vorsitzender des Ausschusses für nationale Sicherheit und Verteidigung des litauischen Seimas, sagte Mitte 2023: „Ich möchte nicht, dass in unserem Land eine Gemeinschaft entsteht, die die sogenannte litwinistische Ideologie predigt, die sich nicht nur das Großfürstentum Litauen aneignet, sondern auch behauptet, dass die wahren Litauer die Belarussen sind.“ Der litauische Historiker Rustis Kamuntavičius, ein Experte für belarussische Geschichte, bringt in einem Interview mit der Deutschen Welle die heftige Reaktion auf die angebliche Verbreitung des Litvinismus mit der litauischen Identität in Verbindung. Diese habe sich um die litauische Sprache und ein spezifisches Geschichtsverständnis herum aufgebaut, in dem das Großfürstentum Litauen eine zentrale Rolle spiele. Man kann aber auch davon ausgehen, dass Minsk und Moskau solche Konflikte über Trolle und andere auf Social Media-Plattformen bewusst provozieren, um Unfrieden zu stiften und Zersetzung zu betreiben.

Aktuelle Herausforderungen

In diese Strategie passen auch die Wetterballons (die üblicherweise auch von Zigarettenschmugglern genutzt werden), die seit Anfang Oktober 2025 immer wieder von Belarus in Richtung Litauen geflogen sind, worauf der Flugverkehr am Flughafen von Vilnius mehrmals eingestellt werden musste. Die litauische Regierung ließ daraufhin die Grenze zu Belarus vollständig schließen (mittlerweile ist sie wieder offen). Die Leidtragenden dieser Maßnahme sind allerdings auch die einfachen Belarussen, die nun ihrer Freunde und Verwandten auf der anderen Seite des Vorhangs nicht mehr besuchen können. Zudem ist fraglich, ob solch eine Grenzsperrung förderlich ist, wenn man die pro-europäisch eingestellten Belarussen eigentlich unterstützen will.

In naher Zukunft werden litauische Politiker, aber auch Belarussen im Exil weiter klare Köpfe brauchen, um ihr Band der Partnerschaft nicht reißen zu lassen. Denn zu befürchten ist: Je weiter das Risiko zunimmt, das vom Lukaschenko-Regime für Litauen ausgeht, desto schärfer wird die Diskussion um die Belarussen als potenzielles „Sicherheitsproblem“ in Litauen werden. Vor allem der Disput um die gemeinsame Geschichte zeigt aber auch, dass nationalgeschichtliche Narrative kaum geeignet sind, einem multikulturellen Erbe wie dem des Großfürstentums gerecht zu werden. Dies birgt allerdings auch die Chance, sich besser kennenzulernen und Formeln zu finden, um die geteilte Geschichte für eine gemeinsame Zukunft zu nutzen.

Literarturtipp

Ingo Petz, Rasender Stillstand. Eine Revolution und ihre Folgen, Berlin 2025.

von Ingo Petz

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