ZMG 1/2025

Ein stolpernder Gigant. Die USAUnited States of America und das Ende des Vietnamkriegs

Ein stolpernder Gigant. Die USAUnited States of America und das Ende des Vietnamkriegs

Datum:
Lesedauer:
18 MIN

Bei manchen Mobilgeräten und Browsern funktioniert die Sprachausgabe nicht korrekt, sodass wir Ihnen diese Funktion leider nicht anbieten können.

Vor 50 Jahren endete der Vietnamkrieg. Wie vielleicht kein anderer militärischer Konflikt verdeutlicht dieser, dass in der Periode des sogenannten Kalten Krieges sehr wohl „heiße Kriege“ geführt wurden. Überraschend verließen die USUnited States-Streitkräfte Vietnam nicht als Sieger. Stattdessen marschierten am Kriegsende die Truppen Nordvietnams in Saigon ein und vereinten das Land unter kommunistischer Flagge.

Menschen klettern zur Evakuierung über eine Leiter zu einem auf einem Dach stehenden Helikopter.

Symbol des Scheiterns: Ein Hubschrauber auf dem Dach eines Wohnhauses in Saigon evakuiert letzte Flüchtende am 29. April 1975. Am 30. April fielen die USUnited States-Botschaft und ganz Saigon.

imago/UPI Photo

Als die Bilder vom überstürzt wirkenden Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan im August 2021 über die Bildschirme flimmerten, weckte dies bei manch einem Erinnerungen an das Ende des Vietnamkriegs: Um eine Massenpanik der Bevölkerung Südvietnams zu vermeiden, hatten USUnited States-Präsident Gerald Ford und der USUnited States-Botschafter in Vietnam, Graham Martin mit der amerikanischen Evakuierung Saigons bis zur letzten Minute gewartet. Amerikanische Flugzeuge flogen ab dem 21. April 1975 rund 40000 Militär- und Regierungsangehörige von dem nahe der südvietnamesischen Hauptstadt gelegenen USUnited States-Militärstützpunkt Tan Son Nhut aus, um sie vor den heranrückenden Truppen Nordvietnams zu retten. Am 28. April musste der Flughafen allerdings aufgegeben werden, weil südvietnamesische Zivilisten die Anlage stürmten, in der Hoffnung, auf diese Weise das Land verlassen zu können. Die Folge waren die Bilder der letzten beiden Apriltage 1975, die um die Welt gingen: Am 28. April hatten amerikanische Radiosender „I’m dreaming of a white Christmas“ ertönen lassen. Es war das Signal für den Beginn der Operation „Frequent Wind“: Am 29./30. April evakuierten die USUnited States-Streitkräfte vom USUnited States-Botschaftsgelände und dem des Militärattachés in völlig überladenen Helikoptern knapp 7000 Personen – zunächst auf an der Küste wartende Flugzeugträger, um die Geretteten schließlich außer Landes in Sicherheit zu bringen. Es war eine chaotisch anmutende Szenerie, deren Bilder um die Welt gingen. Noch am 30. April brachten nordvietnamesische Einheiten den Präsidentenpalast und schließlich ganz Saigon in ihre Gewalt – der Vietnamkrieg war zu Ende.

Vorgeschichte

Um das Ende des Vietnamkrieges zu verstehen, ist es wichtig, einen Blick auf das Ende des Zweiten Weltkriegs in Vietnam zu werfen: Am 2. September 1945, dem Tag, an dem Vertreter des Japanischen Kaiserreichs die formale Kapitulationsurkunde auf der USS „Missouri“ in der Tokioter Bucht unterzeichneten, konstituierte sich die Demokratische Republik Vietnam (DRV). Diese stützte sich auf die „Liga der Verbände für die Unabhängigkeit Vietnams“ (Viet Nam Doc Lap Dong Minho), besser bekannt unter der Abkürzung Viet Minh. In dieser waren alle nationalistischen und sozialrevolutionären Kräfte der vietnamesischen Landesteile Tonking, Annam und Cochinchina der 1887 gegründeten Kolonie Französisch-Indochina zusammengeschlossen. Im Zweiten Weltkrieg hatten sich die klar kommunistisch und antikolonial ausgerichteten Viet Minh, von Vo Nguyen Giap angeführt, den japanischen Besatzern und der mit den Japanern kollabierenden Vichy-französischen Kolonialmacht militärisch widersetzt. Um seinen bewaffneten Widerstand in Nordvietnam zu organisieren, hatte der Guerillaführer Unterstützung durch das Office of Strategic Services (OSS) des amerikanischen damaligen Kriegsministeriums erhalten. Die kommunistischen Viet Minh unter ihrem Präsidenten Ho Chi Minh, der am 2. September 1945 in Hanoi die DRV ausgerufen hatte, beanspruchten nach dem militärischen Zusammenbruch Japans die Souveränität über ganz Vietnam. Ho Chi Minh hatte die Augustrevolution in Vietnam angeführt, als die Viet Minh im Zuge der japanischen Kapitulation das so entstandene Machtvakuum zu nutzen suchten und weite Teile des Landes besetzten. Aber auch die französische Kolonialmacht wollte nach Kriegsende wieder die Herrschaft über das Land übernehmen. In Reaktion auf die Machtübernahme der Viet Minh in Hanoi, von wo aus sie Nordvietnam unangefochten kontrollierten, kam es in Saigon zu Demonstrationen einer von den Viet Minh unabhängigen Koalition bestehend aus Katholiken, ehemaligen Mitgliedern der Polizei, von Japan ausgebildeten Milizen sowie Trotzkisten. Den Viet Minh war es gelungen, auch in Saigon – unterstützt von religiösen Gruppen – die Kontrolle zu übernehmen. Die Verhaftungs- und Ermordungswelle der kommunistischen Kader der Viet Minh an den konkurrierenden Trotzkisten kostete sie aber die Unterstützung nichtkommunistischer Gruppen in Südvietnam. Um die koloniale Ordnung im Land wiederherzustellen, kamen – aufgrund der Schwäche Frankreichs – britisch-französische Einheiten unter britischem Kommando nach Saigon und brachten die Stadt nach einigen chaotischen Tagen in ihre Gewalt. Im Oktober 1945 landete das französische Expeditionskorps unter dem Oberbefehl Jacques-Philippe Leclercs und vertrieb die Viet Minh endgültig aus Saigon, die aber nicht zerschlagen, sondern vielmehr in den Untergrundkampf gedrängt wurden. Im Frühjahr unterstand Südvietnam schließlich französischer Souveränität. Was folgte, war der Französische Indochinakrieg (1946‑1954), in dem die Viet Minh ihr Ziel eines unabhängigen vietnamesischen Nationalstaates mit Waffengewalt zu verwirklichen suchten. Der Konflikt kulminierte in der dramatischen Niederlage der französischen Streitkräfte in der Schlacht bei Dien Bien Phu (März‑Mai 1954) und dem Rückzug der Franzosen aus der Region.

Geteiltes Vietnam

Die am Ende des Indochinakrieges getroffenen Bestimmungen von Genf (Juli 1954) sahen gesamtvietnamesische Wahlen und eine Wiedervereinigung für das Jahr 1956 vor und legten den 17. Breitengrad als vorläufige Grenzlinie fest. De facto war Vietnam am Ende des Indochinakrieges geteilt, auch wurde eine demilitarisierte Zone eingerichtet. In Nordvietnam war nun die von der kommunistischen Partei Ho Chi Minhs kontrollierte DRV mit der Hauptstadt Hanoi etabliert, die mit Erfolg Krieg gegen die frühere Kolonialmacht Frankreich geführt hatte. Im Süden war als Gegengewicht zu den Viet Minh 1949 eine loyal zu Frankreich stehende, antikommunistische Regierung eingerichtet worden, die formell der ehemalige Kaiser Bao Dai führte. Allerdings wurde nach dem Ende des Indochinakrieges 1954 Ngo Dinh Diem, der sich im Exil in den USAUnited States of America als starker Antikommunist profiliert hatte, mit wesentlicher Unterstützung Washingtons, vor allem von Außenminister John Foster Dulles, als Premierminister installiert. Diem sollte in der Folge im Süden immer mehr an Macht gewinnen. USUnited States-Präsident Dwight D. Eisenhower wollte eine Ausweitung des Kommunismus in Asien unter allen Umständen vermeiden, sah die Teilung Vietnams aber als unvermeidbar an. Er sicherte daher Südvietnam ein Sofortprogramm zu: Um den Süden zu stärken, begann im Sommer 1954 eine unter der Leitung von Colonel der USUnited States Air Force Edward G. Lansdale durchgeführte Operation zur psychologischen Kriegführung und zur Stärkung paramilitärischer Truppen im Land. 

Zwei vietnamesische Frauen mit Gewehr auf dem Rücken tragen ein Trümmerteil durch ein Feld.

Kämpferinnen: Zwei weibliche Angehörige der Nationalen Front für die Befreiung Südvietnams bergen die Überreste eines abgeschossenen USUnited States-Militärflugzeuges, ca. 1968.

akg-images / Pictures From History

Zugleich versuchten die Viet Minh auch nach Abzug ihrer militärischen Einheiten unterhalb des 17. Breitengrades weiterhin durch politische Propagandaarbeit und die Einschleusung von Agenten Einfluss auszuüben. Insbesondere USUnited States-Militärberater unterstützten wiederum Diem im Süden: Seine Armee wurde von den Amerikanern trainiert und ausgerüstet. Zudem halfen CIA-Operationen ganz wesentlich bei der Eindämmung der politischen Opposition in Südvietnam mit, sodass es Diem gelang, seine politischen Gegner – auch durch Arrest von Kommunisten – auszuschalten. Amerikanische Hilfsorganisationen unterstützten bei der Neuansiedlung von über 900000 Menschen, die aus dem kommunistischen Norden in den Süden geflohen waren, und sorgten auch dafür, dass das Land ökonomisch liquide blieb. Die geplanten gesamtvietnamesischen Wahlen ablehnend konnte Diem ein allein für den Süden gültiges Referendum erwirken. Im Oktober 1955 erklärte er sich zum Präsidenten der Republik Vietnam. Nordvietnam, das seine chinesischen und sowjetischen Verbündeten zu diesem Zeitpunkt nicht zur Intervention animieren konnte, hatte dem zunächst nichts entgegenzusetzen.

Vietcong und FNL

Bis 1957 hatte sich im Untergrund Südvietnams der ideologische Widerstand derart erholt und organisiert, dass die nun Vietcong genannten Kommunisten eine Reihe von Terroranschlägen auf Regierungsträger und Offizielle verübten. Dem Vietcong flogen dabei die Sympathien von Personen nicht-kommunistischer Gruppen zu, die sich mit der Regierung Diems zunehmend unzufrieden zeigten, da sie sich immer mehr als korrupt erwies und durch ihre Politik der Einschüchterung Oppositioneller unbeliebt gemacht hatte. Der Aufstandsbewegung gehörten neben Viet Minh und Kommunisten auch Anhänger religiöser Gruppen und Bauern an, die sich durch eine Landreform von Diem massiv unter Druck gesetzt sahen. 

Ein schmaler Pfad windet sich entlang einer Bergseite aufwärts.

Auf schmalen Pfaden: Der bereits im Indochinakrieg angelegte Ho-Chi-Minh-Pfad diente als wichtigster Versorgungsweg des Vietcong.

picture-alliance / dpa

Die Guerillakämpfer profitierten dabei von dem noch aus der Zeit des Indochinakrieges weit verzweigten logistischen Nachschubsystem, das mit nordvietnamesischer Unterstützung erweitert werden konnte. Der unter dem Namen Ho-Chi-Minh-Pfad bekannte Versorgungsweg, der sich von Nordvietnam über Laos und Kambodscha bis in den Süden erstreckte, wurde ab Mitte der 1950er-Jahre weiter ausgebaut und war während des gesamten Vietnamkriegs die wichtigste Lebensader, um vor allem Waffen, Munition und Truppen vom Norden in den Süden zu transportieren. Die aus den oben genannten Gruppen getragene Aufstandsbewegung schuf sich mit der Nationalen Front für die Befreiung Südvietnams (Front National de Libération du Viêtnam du Sud, FNL) Ende 1960 ein politisches Organ, das bis zum Ende des Vietnamkrieges 1975 deren Hauptziele verfolgte. Als diese formulierte die FNL in einer Radioansprache im Dezember 1960 die Absetzung Diems, die Zurückdrängung des amerikanischen und jeglichen kolonialen Einflusses, die Gleichstellung in punkto Ethnien, Religion und der Geschlechter, die Reduzierung von Importen und die Minderung von Pachtgebühren sowie eine Landreform. Als militärischer Arm der FNL fungierte die für den militärischen Kampf gegen die Armee der Republik Vietnam der Regierung Diem gebildete „Volksbefreiungsarmee Südvietnams“. Die Reaktion der Vereinigten Staaten auf diese politische Veränderung in Südvietnam ließ nicht lange auf sich warten: Washington erhöhte zunächst die Militärhilfe für Südvietnam und entsandte weitere Militärberater, während es den Vietcong zeitgleich gelang, insbesondere abgelegene, ländliche Gebiete Südvietnams zu kontrollieren und auch ihr Rekrutierungs-, Versorgungs- und Verwaltungsnetz weiter auszubauen.

Tonkin-Resolution

Zum für die Geschichte des Vietnamkriegs entscheidenden Datum wurde schließlich der 7. August 1964: An diesem Tag beschloss der USUnited States-Kongress die sogenannte Tonkin-Resolution und damit das direkte militärische Eingreifen, den Kriegseintritt der USAUnited States of America gegen das kommunistische Nordvietnam. Die Resolution war die Antwort der Vereinigten Staaten auf vermeintliche Angriffe nordvietnamesischer Schnellboote auf zwei Zerstörer der USUnited States Navy: Im Golf von Tonkin hatten die Angreifer an der Küste Nordvietnams am 2. August zunächst den sich auf militärischer Aufklärungsoperation befindlichen Zerstörer USS „Maddox“ beschossen. Zwei Tage später erhielt Präsident Lyndon B. Johnson von Verteidigungsminister Robert McNamara eine Meldung des USUnited States Pacific Command übermittelt: Die „Maddox“ und der zur Fortsetzung ihrer Mission als Geleitschutz entsandte Zerstörer USS „Turner Joy“ unterlägen nordvietnamesischem Torpedobeschuss. Nach dem ersten Angriff lehnte Präsident Johnson noch ausdrücklich einen militärischen Vergeltungsschlag ab und beließ es stattdessen bei der Entsendung einer Protestnote nach Hanoi. Die Reaktion der Regierung in Washington auf den angeblichen Beschuss vom 4. August fiel dagegen ganz anders aus: Am Folgetag bombardierten trägergestützte Flugzeuge Marinestützpunkte in Nordvietnam – ein Angriff, den der USUnited States-Präsident in einer TV-Ansprache unter Berufung auf das Verteidigungsrecht als Reaktion auf die unprovozierten nordvietnamesischen Angriffe angekündigt hatte. Durch die mit nur zwei Gegenstimmen im Senat beschlossene Tonkin-Resolution autorisierte der Kongress Johnson dazu, „alle notwendigen Maßnahmen zur Abwehr eines bewaffneten Angriffs gegen die Streitkräfte der Vereinigten Staaten zu ergreifen“. Zugleich legalisierte sie alle militärischen Maßnahmen der USAUnited States of America in Vietnam – bis zu ihrer Aufhebung durch den Kongress im Januar 1971. Whistleblower des Verteidigungsministeriums spielten die sogenannten Pentagon Papers der USUnited States-Presse zu, die belegen, dass Präsident Johnson Falschmeldungen erhalten hatte. Es hatte am 4. August in Wahrheit keinen Angriff auf die amerikanischen Zerstörer im Golf von Tonkin gegeben. Auch hatte Kapitän John J. Herrick, Kommodore
auf der „Maddox“, zu umsichtigem Handeln gemahnt, mutmaßend, dass der vermeintliche Angriff vom 4. August von Übereifer oder der Unerfahrenheit der Sonarbediener bei der Interpretation der Daten herrühre – eine Einschätzung, die sich als richtig herausstellen sollte. Die 1995 veröffentlichten Memoiren McNamaras sowie 2005 von der National Security Agency (NSANational Security Agency ) freigegebene Dokumente bestätigen ferner, dass die USUnited States-Regierung die erhaltenen Falschmeldungen, die auf sehr einseitigen und tendenziös weitergegebenen Funkmeldungen aus dem Golf von Tonkin basierten, bewusst dazu instrumentalisierte, um so den zu diesem Zeitpunkt bereits geplanten direkten Kriegseintritt der USAUnited States of America zu rechtfertigen. Der Tonkin-Zwischenfall war Washington somit willkommener Anlass, um seine Entschlossenheit unter Beweis zu stellen. Präsident Johnson zögerte aber zunächst damit, eine Luftoffensive gegen Nordvietnam durchzuführen, wie von seinen Militärberatern als unmittelbare Reaktion auf die Ereignisse im August gefordert. 

Allerdings entwickelte sich die Situation in Südvietnam zunehmend chaotisch und der USUnited States-Präsident geriet unter Druck, nachdem der Vietcong mehrere USUnited States-Stützpunkte an der Demarkationslinie und im Februar 1965 Camp Holloway bei Pleiku angegriffen, dabei acht Soldaten getötet, 128 verwundet sowie mittels Sprengladungen Hubschrauber und Flugzeuge zerstört hatte. Zur Vergeltung flogen die USAUnited States of America im Rahmen der Operation „Flaming Dart“ drei Wochen lang Luftangriffe auf nordvietnamesische Militärstützpunkte sowie zur Schwächung der Infrastruktur und Logistik des Vietcong. Als aber der Vietcong in dem an der Ostküste gelegenen Fischerstädtchen Quy Nhon einen Bombenanschlag auf die dortige USUnited States-Präsenz verübte, bei dem 23 amerikanische Militärangehörige getötet und viele weitere verletzt wurden, sah sich Präsident Johnson dazu gezwungen, den Rufen seiner hohen Militärs nachzugeben. Beispielsweise hatte der aus dem Zweiten Weltkrieg bekannte General Curtis LeMay eine Militärintervention der USAUnited States of America im ganz großen Stil gefordert, um „Vietnam zurück in die Steinzeit zu bomben“.

USUnited States-Luftoffensive

Unter dem Namen Operation „Rolling Thunder“ („Donnergrollen“) begann abbMärz 1965 die Phase einer zeitlich unbefristeten Luftoffensive gegen Nordvietnam, mit der auch eine Reihe an Bodenmissionen einherging. Die 44 Monate anhaltende Offensive richtete sich dabei gegen Ziele des Vietcong in Nordvietnam und Laos. Im Fokus lagen zunächst Ziele nahe der demilitarisierten Zone, bevor die Angriffswelle 1966 sukzessive in nördlicher Richtung weiterrollte. In Laos wurde vor allem der Ho-Chi-Minh-Pfad Ziel des USUnited States-Bombardements. Laut Angaben des Pentagon wurden von März 1965 bis Dezember 1967 über 850000 Tonnen an Sprengladungen über Laos und Nordvietnam abgeworfen und damit mehr als doppelt so viel wie über dem gesamten Pazifik während des Zweiten Weltkriegs. Das „Donnergrollen“ war damit die größte Luftoperation der Geschichte. 

Mehrere Soldaten stehen im Dschungel, im Vordergrund ein verletzter Soldat, im Hintergrund Rauch

Welcome to the Jungle: Soldaten der 173rd Airborne Brigade zünden eine Rauchgranate während der Operation "Silver City" in der Long-Khanh-Provinz, März 1966.

picture alliance / AP Images

Über das tatsächliche Ausmaß wurde die amerikanische Öffentlichkeit aber nicht informiert und wie bereits zuvor im Glauben gelassen, dass es sich bei den amerikanischen Militärmaßnahmen um eine bloße Reaktion, einen Vergeltungsschlag, handele. Ziel der USAUnited States of America war es aber, mit dieser massiven Offensive den Kriegsgegner an den Verhandlungstisch zu bomben. Einerseits war Washington in dieser Zeit zwar um eine diplomatische Lösung des Konflikts bemüht. Andererseits lag die Präferenz des Weißen Hauses aber klar auf einem militärischen Sieg, um Nordvietnam die Konditionen diktieren zu können. Immer weiter wurden daher die eigenen Truppen in Vietnam verstärkt. Auf dem Höchststand im März 1969 waren über eine halbe Million USUnited States-Soldaten in Südvietnam stationiert, denen Ende 1969 nicht einmal halb soviel Vietcong-Kämpfer im Norden gegenüberstanden. Zudem kämpften in Vietnam auch Tausende australische, südkoreanische und thailändische Truppen an der Seite der USAUnited States of America.

Tet-Offensive

Karte, die den militärischen Verlauf des Vietnamkrieges darstellt.

Komplexer Konflikt: Der Vietnamkrieg, der über mehrere Jahrzehnte geführt wurde, umfasste zahlreiche komplexe militärische Missionen.

Am 30. Januar 1968, dem vietnamesischen Neujahrstag (Tet Ngyuen Dan), starteten die nordvietnamesischen Truppen einen Überraschungsangriff, der bis zum 25. Februar dauern sollte. Sie griffen ein Dutzend Militärbasen, fünf größere Städte und eine ganze Reihe an Kleinstädten und Dörfern in Südvietnam an. Der nordvietnamesischen Armee und dem Vietcong gelang es zwischenzeitlich, die alte Kaiserstadt Hué unter hohen Verlusten einzunehmen. In der Folge arrestierten und/oder töteten sie tausende Zivilisten. Die Amerikaner hatten die Verteidigung Hués vernachlässigt und stattdessen ihre Truppen bei Khe Sanh konzentriert. Die dortige Basis der USUnited States-Marines sollte unter keinen Umständen dem Gegner in die Hände fallen und ein zweites Dien Bien Phu verhindert werden. Schließlich konnte Khe Sanh gehalten werden und südvietnamesische und USUnited States-amerikanische Einheiten eroberten auch Hué bis Anfang März zurück. Die blutige Schlacht um die alte Kaiserstadt, an deren Ende rund 80 Prozent der Stadt zerstört und 100000 der 140000 Bewohner obdachlos waren, gehört militärgeschichtlich betrachtet in die Reihe schwerster Häuserkämpfe der Geschichte. Im Vergleich etwa zu Stalingrad oder Berlin im Zweiten Weltkrieg ist Hué heute aber weitestgehend in Vergessenheit geraten. 

Unter dem Strich scheiterte der als Tet-Offensive bekannt gewordene Angriff Nordvietnams militärisch: Für die Vietcong-Verbände waren mit der Offensive die höchsten Verluste des gesamten Krieges verbunden. Schätzungen belaufen sich auf bis zu 100000 Mann an Verlusten, rund 50 bis 60 Prozent der Nordvietnam zu dieser Zeit zur Verfügung stehenden Kämpfer. Dem standen auf amerikanischer und südvietnamesischer Seite über 10000 Verwundete und mehr als 2600 Getötete gegenüber. Auch wurde das von nordvietnamesischer Seite mit der Offensive anvisierte Ziel eines Volksaufstands in Südvietnam nicht erreicht. General William C. Westmoreland, Oberbefehlshaber der USUnited States-Truppen im Vietnamkrieg von 1964 bis 1968, interpretierte die Tet-Offensive als einen Akt kommunistischer Verzweiflung und sah in ihr die Bestätigung, weiter an seiner Zermürbungsstrategie festzuhalten. Wie viele hochrangige USUnited States-Militärs lehnte Westmoreland daher den Vorschlag von General Harold K. Johnson, Generalstabschef der USUnited States Army, ab. In seinem im März 1966 herausgegebenen Programm befürwortete dieser ein gemäßigteres Vorgehen der USUnited States-Armee in Vietnam und plädierte für einen größeren amerikanischen Truppeneinsatz, um Sicherheit und Stabilität in den ländlichen Regionen Südvietnams zu garantieren und auf diese Weise die Herzen der Bevölkerung zu gewinnen. Johnson, der angesichts der erfolgreichen Guerillakriegführung des Feindes nicht an einen militärischen Erfolg der USAUnited States of America in Vietnam glaubte, stieß aber mit seinem Anliegen bei Militär und Politik weitestgehend auf taube Ohren.

Friedensverhandlungen und „Helikopterkrieg“

Wenn auch die Tet-Offensive kein militärischer Erfolg war, so hatte sie doch eine erhebliche politisch-psychologische Wirkung: Sie führte die instabile Lage in Südvietnam vor Augen und förderte bei beiden Kriegsparteien die Bereitschaft zu Verhandlungen. Vertreter der Vereinigten Staaten und der Republik Vietnam (Südvietnam) einerseits sowie der Demokratischen Republik Vietnam (Nordvietnam) und der provisorischen Revolutionsregierung Südvietnams andererseits begannen am 13. Mai 1968 in Paris Gespräche zur Beendigung des Vietnamkriegs, die knapp fünf Jahre andauern sollten. Bedingung zur Aufnahme der Pariser Verhandlungen war das Einstellen der USUnited States-Bombardements auf Nordvietnam. Im Süden gingen die Kämpfe allerdings weiter. Im hier tobenden Kampf gegen die Guerilla führten die USAUnited States of America einen regelrechten „Helikopterkrieg“, indem Hubschrauber – etwa „Hueys“ (Bell UH-1 „Iroquois“) zu Logistik- und Transportzwecken und „Cobras“ (Bell AH-1G) in Kampfeinsätzen – massiert verwendet wurden. 

Mehrere amerikanische Helikopter fliegen über den Dschungel und Soldaten am Boden

Fliegende Kavallerie: "Huey"-Helikopter und ein AH-1G der USUnited States-Armee kehren zum Auftanken ins Bu Dop Special Forces Camp zurück, Mai 1970.

akg-images

Zu unrühmlicher Berühmtheit gelangten die Bilder von Napalmangriffen und vom Einsatz hochgiftiger, chemischer Entlaubungsmittel (Agent Orange) mit verheerenden Folgen für Mensch und Natur. Trotz klarer Luftüberlegenheit konnten die USAUnited States of America letztlich keinen Sieg erringen, zugleich aber einen militärischen Erfolg Nordvietnams verhindern. Auf USUnited States-amerikanischer Seite setzte sich zunehmend die Ansicht durch, dass der Krieg in Vietnam nicht zu gewinnen sei. Auch weil der Krieg die Wirtschaft der Vereinigten Staaten immer stärker belastete, wuchs der allgemeine Widerstand gegen den amerikanischen Kriegskurs im eigenen Land stetig an und auch global wurden die nach Frieden rufenden Stimmen immer lauter. Der Druck auf die Regierung in Washington wurde etwa durch das Bekanntwerden des an Zivilisten im südvietnamesischen Dorf My Lai verübten Massakers durch USUnited States-Soldaten vom 16. März 1968, der USUnited States-Invasion in Kambodscha (Mai/Juni 1970) sowie durch die Herausgabe der oben erwähnten Pentagon Papers (1971) immer größer, sodass Richard Nixon, seit Januar 1969 USUnited States-Präsident, jetzt für eine „Vietnamisierung“ des Vietnamkriegs warb. Sein Programm sah vor, die südvietnamesischen Streitkräfte zu erweitern, auszurüsten und auszubilden und zugleich die USUnited States-Truppen sukzessive aus Vietnam abzuziehen. Zunächst rückten bis 1971 die Truppen aus Australien, Südkorea und Thailand aus Vietnam ab. 1972 trafen sich der politische Unterhändler Nordvietnams, Le Duc Tho, und Henry Kissinger als nationaler Sicherheitsbeauftragter der Nixon-Administration in Paris, um die Konditionen eines Waffenstillstandsabkommens auszuloten. Obwohl sich die südvietnamesische Seite mit den entsprechenden Kompromissvorschlägen im Gegensatz zu den USAUnited States of America und Nordvietnam noch nicht einverstanden zeigte, verkündete Kissinger am 25. Oktober 1972, dass der Friedensschluss kurz bevorstünde, um so Druck auf die beiden vietnamesischen Parteien auszuüben. Um Südvietnam in eine günstige Ausgangslage nach dem bevorstehenden USUnited States-Truppenabzug zu versetzen, flogen amerikanische B-52-Bomber vom 18. bis 29. Dezember im Rahmen von Operation „Linebacker II“ über 700 Einsätze. Ziel des auch „Christmas Bombings“ genannten strategischen Bombardements, das schwerste seit 1945, war es, die nordvietnamesische Seite bei Hanoi und Haiphong infrastrukturell zu schwächen. Am Ende zäher Verhandlungen konnten sich die USAUnited States of America, Süd- und Nordvietnam schließlich am 27. Januar 1973 in Paris auf die Unterzeichnung des „Abkommens zur Kriegsbeendigung und zur Wiederherstellung des Friedens in Vietnam“ einigen. Es sah den vollständigen Abzug der USUnited States-Streitkräfte aus Vietnam vor. Zwei Monate später hatten tatsächlich die letzten Bodentruppen Südvietnam verlassen, nachdem zuvor knapp 600 GIs aus der Kriegsgefangenschaft entlassen worden waren. Kissinger und Le Duc Tho wurde für diese Leistung 1973 der Friedensnobelpreis zugesprochen, den der nordvietnamesische Politiker – im Gegensatz zu Kissinger – mit der Begründung ablehnte, dass ja noch kein Frieden in Vietnam herrsche. Zwar waren die USUnited States-amerikanischen Truppen abgezogen, doch lieferte Washington weiterhin Kriegsmaterial nach Saigon. Und auf der Gegenseite zielten die Kommunisten des Nordens darauf ab, ihren Einflussbereich weiter mit Waffengewalt zu vergrößern.

Endgültige Niederlage

Als einige militärische Stützpunkte an die sich immer weiter auf dem Vormarsch befindlichen Truppen Hanois verlorengingen und Washington die Finanzhilfe für Südvietnam einstellte, sahen sich die Regierungstruppen des seit 1967 amtierenden Präsidenten Nguyen Van Thieu zunächst zum Rückzug gen Süden, schließlich zur Auflösung gezwungen. Die im März 1975 begonnene „Ho-Chi-Minh-Offensive“ Nordvietnams fand für die Kommunisten in der eingangs skizzierten Einnahme Saigons am 30. April 1975 ihren Höhepunkt. Es folgte ein wahrer Exodus an Flüchtlingen. Am 2. Juli 1976 wurde mit der Sozialistischen Republik Vietnam ein gesamtvietnamesischer Nationalstaat unter kommunistischer Führung ausgerufen. Der Krieg hatte nun auch für die Vietnamesen ein Ende gefunden.

Bilanz

Am Ende des Vietnamkriegs stand die traurige Bilanz von über 58 000 gefallenen USUnited States-Soldaten, Tausenden Verwundeten, Verkrüppelten und Veteranen mit posttraumatischen Belastungsstörungen sowie Problemen, in das Gesellschaftsleben zurückzufinden. Auf vietnamesischer Seite waren 200000 bis 250000 südvietnamesische Soldaten und schätzungsweise über eine Million Soldaten der nordvietnamesischen Armee und des Vietcong gefallen. Zusätzlich kostete der Krieg rund zwei Millionen Zivilisten auf beiden Seiten das Leben. Am Kriegsende standen mit Vietnam und den USAUnited States of America zwei schwer gezeichnete und traumatisierte Nationen. Wider Erwarten hatten die Vereinigten Staaten den Krieg nicht gewonnen, stattdessen ein wahres Desaster erlitten. Das von Präsident Gerald Ford für 30 Jahre auferlegte Handelsembargo über Vietnam hob erst die Clinton-Administration im Jahr 1994 wieder auf. Ein Jahr später richteten beide Länder diplomatische Vertretungen im jeweils anderen Land ein. Heute bilden über zwei Millionen Vietnamese-Americans in den Vereinigten Staaten die größte überseevietnamesische Gemeinschaft weltweit und Washington sieht in Vietnam einen potentiellen Partner in geopolitischen Fragen im asiatisch-pazifischen Raum, besonders zur gemeinsamen Behauptung gegen das Machtstreben der Volksrepublik China.

Literaturtipps

Marc Frey, Geschichte des Vietnamkriegs. Die Tragödie in Asien und das Ende des amerikanischen Traums, 11. Aufl., München 2022.
Bernd Greiner, Krieg ohne Fronten. Die USAUnited States of America in Vietnam, Hamburg 2007.

von Takuma Melber

Bei manchen Mobilgeräten und Browsern funktioniert die Sprachausgabe nicht korrekt, sodass wir Ihnen diese Funktion leider nicht anbieten können.

Aktuelle Beiträge