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Ober Ost – Deutsche Besatzungsherrschaft im Baltikum während des Ersten Weltkrieges

Ober Ost – Deutsche Besatzungsherrschaft im Baltikum während des Ersten Weltkrieges

Datum:
Ort:
Litauen
Lesedauer:
5 MIN

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Der Begriff „Ober Ost“ bezeichnet die von Deutschland während des Ersten Weltkriegs besetzten Gebiete des Russischen Reiches, insbesondere in den heutigen Staaten Litauen, Lettland, Belarus und Polens. Die Bezeichnung leitet sich von der Obersten Heeresleitung Ost ab. Hier entstand ein Militärverwaltungsgebiet, das weit über eine bloße Besatzung hinausging: Ober Ost wurde zu einem Experimentierfeld deutscher Herrschaftspolitik und Wirtschaftslenkung.

Teaserbild OberOst

Historische Ereignisse in Karten

Bundeswehr/Andrea Nimpsch

Was zeigt die Karte?

Landkarte des Baltikums

Das Gebiet von Ober Ost erstreckte sich über Teile des heutigen Lettland, Litauen, Polen und Belarus

Bundeswehr/ZMSBw

Die Karte verortet Ober Ost auf dem Gebiet des Russischen Imperiums während des Ersten Weltkriegs innerhalb der heutigen Staatsgrenzen. Die Grenzlinien markieren die Struktur des Besatzungsgebietes, das in die Verwaltungsbereiche Kurland, Litauen und Bialystok-Grodno unterteilt war. Erkennbar sind zudem die heutigen politischen Grenzen, größere Städte wie Riga, Kaunas, Vilnius und Minsk sowie die wichtigsten geografischen Gegebenheiten wie die Ostsee, die Memel und die Düna. Außerdem markiert ist Rukla, der Stationierungsort der Brigade 45 Litauen der Bundeswehr.

Ober Ost war nicht von Beginn an ein einheitliches Besatzungsgebiet, sondern entstand im Zuge der deutschen Offensive 1915, die zur Eroberung dieser Gebiete führte. Die zweite Karte zeigt diese militärische Dynamik anhand der Frontverläufe zwischen 1914 und 1918 und herausgehobener Schlachten und Operationen. Während die erste Karte die heutige Staatenlandschaft mit einbezieht, nutzt die diese Karte die historischen Ortsnamen.

Historischer Kontext

1915 eröffnete das Deutsche Reich eine großangelegte Offensive an der Ostfront. Nach dem entscheidenden Durchbruch in der Gorlice-Tarnów-Offensive in Galizien und weiteren Erfolgen drängten deutsche und österreichisch-ungarische Truppen die russische Armee weit zurück. Bis zum Herbst 1915 war ein großes Gebiet zwischen der Ostsee und den heutigen westlichen Teilen von Belarus unter deutscher Kontrolle. Die deutsche Heeresleitung entschied, diese Gebiete nicht nur militärisch zu sichern, sondern sie direkt zu verwalten. So entstand Ober Ost – ein Militärverwaltungsgebiet unter direkter Kontrolle der Obersten Heeresleitung.

Die militärische Lage

Landkarte

Vom Kriegsbeginn im August 1914 wurde die Front kontinuierlich weiter nach Osten verschoben

Bundeswehr/ZMSBw

Die deutsche Besatzung beruhte auf der vollständigen Kontrolle durch das Militär. Infrastruktur wie Straßen und Bahnen wurde ausgebaut, um Truppenbewegungen und Materialtransporte zu erleichtern. Ober Ost diente als Pufferzone gegen erneute russische Offensiven und als Basis für mögliche weitere Vorstöße in Richtung Russland. Nach dem Kriegseintritt der USAUnited States of America 1917 und mit der wachsenden Kriegsmüdigkeit in Deutschland verlor Ober Ost jedoch an Bedeutung. Mit dem Friedensvertrag von Brest-Litowsk im März 1918 wurde das Gebiet formal von Russland abgetreten, doch mit der deutschen Niederlage im November 1918 brach die Besatzung zusammen.

Was war Ober Ost?

Ober Ost war weit mehr als ein klassisches Besatzungsgebiet. Die deutsche Militärverwaltung unter dem Oberbefehlshaber Ost, Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, und Generalleutnant Erich Ludendorff als Chef des Stabes sah Ober Ost als eine Art Labor für eine von militärischen Prinzipien geprägte Verwaltung. Es war streng hierarchisch organisiert und unterteilte sich seit März 1917 in drei Verwaltungsbereiche: Kurland, Litauen und Bialystok-Grodno. Ober Ost sollte nicht nur als Nachschubraum für die deutsche Armee dienen, sondern auch wirtschaftlich ausgebeutet werden. Gleichzeitig war es ein Raum, in dem die deutsche Führung erstmals umfassende Besatzungsstrukturen und Kontrolle über die Bevölkerung praktizierte.

Zwangsarbeit, Requirierungen und eine Politik der „Germanisierung“ prägten den Alltag der Bevölkerung. Zugleich versuchte die deutsche Führung, lokale Eliten für sich zu gewinnen. Besonders im Baltikum, aber auch in Polen, Finnland, Belarus und der Ukraine wurden nationalistische Bewegungen geduldet oder gar gefördert, um das Russische Reich zu destabilisieren und eigene Einflusszonen zu sichern. Dazu gehörte auch die Bildung formell eigenständiger Staaten, wie in Litauen, Belarus (hist. Weißrussische Volksrepublik) oder der Ukraine, allerdings unter starker deutscher Kontrolle. 

Die jüdische Bevölkerung befand sich in einer prekären Lage. Während einige Restriktionen des Russischen Reichs entfielen, führten Misstrauen und antisemitische Stereotype der Deutschen zu Repressionen und wirtschaftlichen Benachteiligungen. Zugleich nutzten die Besatzer jüdische Händler und Handwerker für ihre Interessen aus. Die entstehenden Nationalbewegungen standen in ihrem Streben nach ethnischer Homogenität den Juden ebenfalls skeptisch gegenüber. Damit geriet die jüdische Bevölkerung zwischen die Interessen der Besatzer, der lokalen Nationalbewegungen und der Kriegswirtschaft.

Militärgeschichtliche Bedeutung

Ober Ost war eine der ersten systematisch organisierten Besatzungen im 20. Jahrhundert und diente als Referenz für spätere deutsche Besatzungspolitiken. Viele Methoden, die hier entwickelt wurden – von der wirtschaftlichen Nutzung der besetzten Gebiete bis hin zur Kontrolle der Bevölkerung – fanden im Zweiten Weltkrieg eine radikalisierte Fortsetzung. Die Erfahrung aus dem Ersten Weltkrieg zeigte der deutschen Führung, dass eine langfristige Kontrolle besetzter Gebiete möglich war – eine Vorstellung, die später in der NSNationalsozialismus-Ostpolitik im Kontext des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion eine Rolle spielte.

Warum ist das wichtig?

Heute ist das Baltikum erneut ein sicherheitspolitischer Schwerpunkt für Deutschland. Die Stationierung der NATO-Truppen in Litauen – darunter die Bundeswehr – zeigt die geopolitische Bedeutung der Region. Während deutsche Truppen vor über 100 Jahren als Besatzungsmacht auftraten, sind sie heute als Verbündete zur Sicherung der Souveränität Litauens präsent. Die Kenntnis und Auseinandersetzung mit der Geschichte von Ober Ost tragen dazu bei, die komplexe historische Entwicklung der Region zu verstehen. Vor diesem Hintergrund ist die Präsenz der Bundeswehr in Litauen nicht nur eine sicherheitspolitische Maßnahme, sondern auch Teil einer historischen Verantwortung im Umgang mit der Vergangenheit.

Karte und Text zum Herunterladen

von Kristiane Janeke

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